Angst vor der Angst – Wenn die Furcht selbst zur unsichtbaren Fessel wird

von Marcus Woggesin – 19. July 2025

Es ist ein stiller Albtraum, der nicht im Schlaf, sondern mitten im wachen Leben wütet. Es ist kein Gebrüll, sondern ein beständiges, nervöses Flüstern im Hinterkopf: Die Angst vor der Angst. Diese Metafurcht, dieses Grauen vor dem eigenen Grauen, ist vielleicht eine der tückischsten Fallen, in die unser Geist uns führen kann. Sie hält uns nicht mit eisernen Ketten fest, sondern mit unsichtbaren, selbstgesponnenen Fäden der Erwartung, der Vorwegnahme des Schreckens.

Stell dir vor, du hättest einmal – vielleicht in einem stickigen Aufzug, inmitten einer drängelnden Menschenmenge oder einfach aus heiterem Himmel – eine Panikattacke erlebt. Die Welt kippte, das Herz raste wie ein gehetztes Tier, die Luft blieb weg, die Kontrolle schmolz dahin. Ein furchtbares, aber einmaliges Erlebnis? Nicht für die Angst vor der Angst. Denn sie nimmt dieses Erlebnis und spinnt daraus ein Netz aus Was-wäre-wenn-Szenarien. Sie flüstert: "Pass auf, es könnte wieder passieren. Jederzeit. Überall. Und dann? Dann bist du wieder diesem namenlosen Entsetzen ausgeliefert. Dann verlierst du die Kontrolle. Dann... oh Gott."

Und schon sitzt du in der Falle. Nicht die ursprüngliche Situation selbst ist nun das Problem, sondern die antizipierte Wiederholung des Angsterlebnisses. Die Furcht verselbstständigt sich. Sie wird zu einem eigenständigen Monster, das in den Schatten deines Bewusstseins lauert und darauf wartet, dass du nur einen Fuß vor die Tür setzt, nur einen Gedanken in die "verbotene" Richtung lenkst. Du beginnst, nicht das Objekt der ursprünglichen Angst zu meiden (den Aufzug, die Menschenmenge), sondern jede Situation, in der du dich potentiell ausgeliefert, gefangen oder hilflos fühlen könntest – und das kann sehr, sehr schnell sehr viele Situationen umfassen.

Diese Angst vor der Angst ist ein perfider Gefängniswärter. Sie baut unsichtbare Mauern:

+ Die Mauer der Vermeidung: Du bleibst zu Hause. Du sagst Treffen ab. Du umgehst bestimmte Straßen, Plätze, Geschäfte. Dein Leben schrumpft ein, wird kleiner, sicherer – und gleichzeitig leerer, enger. Jede vermiedene Situation wird zu einem kleinen Sieg der Angst, die ihre Macht bestätigt sieht.

+ Die Mauer der Hypervigilanz: Deine Sinne sind ständig auf Hochspannung. Du scanst deinen Körper nach den kleinsten Anzeichen von Unwohlsein ab – ein leichtes Herzklopfen, einen flüchtigen Schwindel, ein Kribbeln. Jedes normale Körpersignal wird potentiell zur Vorbotin der großen Angst. Du lebst in einem Zustand dauernder Alarmbereitschaft, was an sich schon erschöpfend und angstfördernd ist.

+ Die Mauer der Katastrophenphantasien: Das Gehirn, dieses Meisterwerk, wird zum Feind. Es malt die schlimmstmöglichen Szenarien aus – nicht nur das erneute Auftreten der Angst, sondern deren unkontrollierbare, öffentliche, demütigende, lebensbedrohliche(!) Eskalation. "Was, wenn ich ohnmächtig werde? Was, wenn ich schreie? Was, wenn ich sterbe?" Die Angst vor der Angst nährt sich von diesen Horrorfilmen im Kopf.

Und das Tragischste? Je mehr du die Angst fürchtest, desto mehr Macht gibst du ihr. Der Teufelskreis dreht sich: Vermeidung bestätigt die Gefahr (sonst müsste ich ja nicht vermeiden!), Körperwahrnehmung wird fehlinterpretiert, Katastrophengedanken werden zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Angst vor der Angst hält dich in Geiselhaft, nicht weil sie so mächtig ist, sondern weil du (verständlicherweise!) alles tust, um ihr nicht zu begegnen.

Wie bricht man aus dieser Geißelhaft aus? Es ist kein einfacher Weg, und er beginnt mit einer fast unerträglich klingenden Erkenntnis: Du musst lernen, die Angst zuzulassen. Nicht zu bekämpfen, nicht zu fliehen, sondern sie auszuhalten. Zu verstehen, dass diese körperlichen Symptome – so furchteinflößend sie sind – keine reale Gefahr anzeigen. Dass eine Panikattacke, so grauenvoll sie sich anfühlt, ein biologisches Programm ist, das von allein wieder abebbt. Dass das Gefühl der Kontrolllosigkeit nicht bedeutet, dass du tatsächlich die Kontrolle über alles verloren hast.

Es geht darum, die Angst vor der Angst zu entmystifizieren. Sie ist kein unbesiegbares Monster, sondern ein fehlgeleiteter Schutzmechanismus. Therapien wie die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) oder die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) setzen genau hier an: Sie helfen dir, die Gedankenmuster zu erkennen, die die Meta-Angst nähren, die körperlichen Symptome neu zu bewerten und dich schrittweise, in einem sicheren Rahmen, genau den Situationen auszusetzen, die du fürchtest – nicht um die Angst zu vermeiden, sondern um zu lernen, dass du sie aushalten kannst und dass das befürchtete Schlimmste nicht eintritt.

Es ist ein Akt der Rebellion gegen den eigenen, ängstlichen Geist. Es erfordert unglaublichen Mut, nicht vor der Angst zu fliehen, sondern ihr ins Gesicht zu sehen und zu sagen: "Du bist nur ein Gefühl. Du bist unangenehm, ja. Du bist beängstigend, sicher. Aber du bist nicht gefährlich. Und du wirst mich nicht mehr in Geiselhaft nehmen." Der Weg aus der Angst vor der Angst ist der Weg zurück in dein Leben – ein Leben, das vielleicht immer noch von Wellen der Angst geküsst wird, aber nicht mehr von ihrer tyrannischen Erwartung beherrscht wird. Es ist die Befreiung aus der Haft der eigenen, vorauseilenden Schreckensvisionen. Ein langer Weg, ja, aber einer, der sich lohnt. Schritt für kleiner, zitternder Schritt.