Warum Gefühle nicht richtig oder falsch sind, sondern angenehm oder unangenehm

von Marcus Woggesin – 10. September 2025


Gefühle sind wie das Wetter im Inneren des Menschen. Sie kommen und gehen, sie wechseln und sind oft kaum vorhersehbar. Doch im Gegensatz zum Wetter neigen wir dazu, unsere emotionalen Zustände zu bewerten. Wir klassifizieren sie als gut oder schlecht, richtig oder falsch. Diese Einordnung ist jedoch nicht nur unzutreffend, sie kann auch erhebliches Leid verursachen. Denn Gefühle an sich sind weder moralisch gut noch schlecht. Sie sind einfach da. Was sie unterscheidet, ist nicht ihr moralischer Wert, sondern ihr subjektives Empfinden: ob sie sich angenehm oder unangenehm anfühlen.

Die Vorstellung, dass ein Gefühl falsch sein könnte, entsteht oft durch gesellschaftliche Erwartungen oder internalisierte Glaubenssätze. Einem traurigen Menschen wird vielleicht gesagt, er solle nicht weinen. Ein wütender Mensch wird aufgefordert, sich zu beruhigen. Diese Reaktionen implizieren, dass die gezeigte Emotion unangemessen oder nicht korrekt ist. Doch die Trauer ist eine authentische Reaktion auf Verlust. Die Wut ist eine Antwort auf eine wahrgenommene Ungerechtigkeit. Sie sind nicht falsch. Sie sind menschlich. Der Versuch, sie zu unterdrücken oder als falsch zu brandmarken, ist, als würde man versuchen, das Wetter zu verbieten.

Der entscheidende Unterschied liegt in der Wirkung, die ein Gefühl auf uns hat. Manche Emotionen fühlen sich leicht und erhebend an. Freude, Zuversicht oder Zufriedenheit werden als angenehm empfunden. Sie sind Zustände, in denen wir uns ausdehnen und die Welt offen umarmen möchten. Andere Gefühle wie Angst, Scham oder Verzweiflung fühlen sich schwer und bedrückend an. Sie sind unangenehm. Sie ziehen uns nach innen, engen uns ein und fordern unsere ganze Aufmerksamkeit. Diese Unterscheidung ist rein subjektiv und erfahrungsbasiert. Sie ist keine Frage der Moral.

Dieses Verständnis befreit. Wenn wir aufhören, unsere unangenehmen Gefühle zu bekämpfen oder uns für sie zu schämen, verlieren sie einen großen Teil ihrer Macht über uns. Wir können die Angst willkommen heißen, ohne uns von ihr lähmen zu lassen. Wir können die Traurigkeit zulassen, ohne in ihr zu versinken. Indem wir das unangenehme Gefühl als das anerkennen, was es ist – eine vorübergehende innere Erfahrung –, können wir mit ihm in Beziehung treten, anstatt gegen ihn zu kämpfen.

Letztendlich sind Gefühle Botenstoffe. Sie liefern wichtige Informationen über unsere Bedürfnisse, unsere Grenzen und unsere Werte. Ein unangenehmes Gefühl ist oft ein Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt. Es signalisiert, dass eine Grenze überschritten wurde oder ein Bedürfnis unerfüllt ist. Ein angenehmes Gefühl zeigt an, dass wir in Einklang mit uns selbst und unserer Umwelt sind. Wenn wir die Botschaft hinter dem Gefühl verstehen lernen, anstatt den Boten selbst anzugreifen, handeln wir weise. Wir nutzen unsere Emotionen als Kompass für ein authentischeres Leben.